[Porträt]

Rüdiger Heins studierte Pädagogik und Kulturwissenschaften. Heute arbeitet er als freier Schriftsteller sowie Regisseur und produziert Beiträge für Hörfunk, Fernsehen und Internet. Er ist Dozent im Creative Writing sowie Gründer und Studienleiter des INKAS – Institut für Kreatives Schreiben in Bingen und Bad Kreuznach. Er organisiert auch Literaturveranstaltungen, interdisziplinäre Künstlerprojekte und koordiniert die Lange Nacht der Autoren in Bad Kreuznach, Bingen sowie St. Moritz; er erhielt mehrere Stipendien und Auszeichnungen für seine literarische Arbeit. Heins ist Herausgeber des Online- und Radiomagazins eXperimenta.

Sein Landart-Projekt Haiku-Garten erregte 2008 auf der Landesgartenschau in Bingen Aufsehen. Regelmäßig veranstaltet er Mailart-Aktionen und -Ausstellungen.

  • Sachbücher

  • Obdachlosenreport
    Düsseldorf (1995) ISBN 3-928679-11-2
  • Zuhause auf der Straße: Verlorene Kinder in Deutschland
    Göttingen (1999) ISBN 3-88977-434-2
  • Handbuch des kreativen Schreibens
    Baltmannsweiler (2005) ISBN 3-8340-0005-1
  • Novellen

  • Verbannt auf den Asphalt: Begegnungen mit Pennern
    Mainz (1989) ISBN 3-7867-1429-0
  • Von Berbern und Stadtratten
    Göttingen (1998) ISBN 3-88977-506-3
  • Romane

  • In Schweigen gehüllt
    Konstanz (2013) ISBN 978-3-937150-12-3
  • Lyrik

  • Der Ketzer von Veduggio
    Frankfurt (2000) ISBN 3-930758-00-8
  • maria auf dem halbmond
    Frankfurt (2001) ISBN 3930758016
  • Voices Of The Big Bang: Urknalllyrik (2002)
    ISBN 3-932497-80-5
  • Gilgamesh + Enkidu (2008)
  • Urstrom (2008)
    ISBN 978-3-939165-26-2
  • Stücke

  • Das Gilgamesh Projekt (2008)
  • Fee: »Ich bin ein Straßenkind« (2009)
  • Allahs Heilige Töchter (2010)
  • Vision der Liebe (2010)
  • Ein Bild Mohammeds – Vier Ansichten des Propheten (2012)
  • Hörspiele und Features

  • Ich bin jetzt ein Roher Stein (ORB 1992)
  • Leben und Leiden der Ranka Simonis (WDR 1993)
  • Ich bin ein Straßenkind (WDR 1995)
  • Flowers for Mum (NDR 1996)
  • Mythos Wallraff (RRW 2009)
  • Filme

  • Straßenkinder in Deutschland (1995)
  • Flowers for Mum (1996)
  • Angekommen (2012)
  • Vision der Liebe – Hildegard von Bingen (2013)

Rezension des aktuellen Romans »In Schweigen gehüllt«

Spannung in modernem Gewand – Ein Wort zu Rüdiger Heins‘ Kriminal- und Zeitroman

von Mario Andreotti

Die Handlung in Rüdiger Heins‘ Roman »In Schweigen gehüllt« ist auf den ersten Blick relativ einfach: Da ermordet der junge, erst achtzehnjährige Anton Detrois seine alte Tante Honorine Steimer, eine ehemalige Klosterfrau aus einem Orden in Würzburg, um an ihre Geldschatulle zu gelangen. Man wird bei der Lektüre der ersten Seiten an Frank Wedekinds berühmtes Gedicht »Der Tantenmörder« aus dem Jahre 1897 erinnert.

Anton Detrois kann mit den vielen Geldscheinen, die er im Schlafzimmer der ermordeten Tante erbeutet hat, zunächst fliehen, schlägt sich in verschiedenen Wirtshäusern, bei Dirnen und Obdachlosen herum, kauft sich ein Motorrad und wird schliesslich von der Polizei gefasst und am 4.September 1903 in Mainz öffentlich hingerichtet. Ein Raubmord, der nach dem klassischen Muster des Detektivromans erzählt wird. Soweit der Plot der Geschichte. Doch Rüdiger Heins erzählt die Geschichte nicht einfach chronologisch, angefangen bei der Kindheit von Detrois bis hin zu dessen Festnahme und Hinrichtung, wie das etwa Patrick Süskind in seinem berühmten Roman »Das Parfum« tut. Süskind beginnt die Geschichte seines abstossenden ‚Helden‘ mit dessen Geburt und schliesst sie mit dessen Tod. Völlig anders, wie bereits gesagt, Rüdiger Heins. Er setzt, ganz in der Tradition des Kriminalromans, mit dem in allen fürchterlichen Einzelheiten beschriebenen Mord an Honorine Steimer ein, um danach in Vorausdeutungen und Rückblenden den linearen Gang der Handlung gleichsam aufzubrechen.

So ‚springt‘ der personale Er-Erzähler von der Schilderung des Mordes am »Ersten April 1903« im zweiten ‚Kapitel’ vorausdeutend gleich zum »28. August 1987« und wechselt dabei erst noch die Erzählhaltung: aus dem ursprünglichen Er- wird ein Ich-Erzähler, jener fiktive Ich-Erzähler nämlich, dem es über achtzig Jahre später obliegt, vom Mord an der ehemaligen Nonne und vom elenden Ende ihres Mörders der Nachwelt zu berichten. Einige Seiten später kehrt der Erzähler wieder zur Haupthandlung, zur Schilderung des Mordes an der alten Frau, zurück, um dann in einer Rückblende aus grosser zeitlicher Distanz und aus einer ganz andern Perspektive Detrois‘ fürchterliche Tat und deren Vorgeschichte erneut zu beleuchten. Und so geht das durch den ganzen Roman weiter: Dauernd wird die Haupthandlung durch Rückblenden in die Kindheit Anton Detrois‘, aber auch in jene Honorine Steimers‘ und durch Berichte, die eine viel spätere Zeit betreffen, unterbrochen. An die Stelle einer realen Zeitabfolge tritt so in Rüdiger Heins‘ Roman eine Art »innere Zeit«, eine Gleich- und Allzeitigkeit von Tun und Erinnern, wie wir sie in der modernen Erzählprosa etwa aus dem inneren Monolog kennen.

Damit aber nicht genug: Montageartig in den Roman eingefügt sind nicht bloss Analepsen und Prolepsen, sondern weit darüber hinaus auch Fremdtexte in Form von Briefen, von Zeitungsnachrichten, von Gedichten, von Bibeltexten, von Notizen, Erzählerkommentaren und Tagebuchaufzeichnungen, ja selbst von Gebeten und vom kirchlichen Glaubensbekenntnis. Und als ob das nicht schon genug wäre, tritt zum Wechsel der Zeitebenen ein fortwährender Wechsel der Erzählperspektive: Honorine Steimers Kindheit etwa, aber auch ihr klösterliches Leben und ihr späterer frommer Lebenswandel als »Mutter Honorine« ausserhalb des Klosters wird aus verschiedensten Perspektiven, aus der von Verwandten, von städtischen Beamten, von Geistlichen u.a., berichtet. Ähnliches lässt sich von ihrem Mörder Anton Detrois sagen. Wir haben es hier mit einem modernen, polyperspektivischen Erzählen zu tun, das ein wenig an Uwe Johnsons berühmten Roman »Mutmassungen über Jakob« erinnert. Ein gewichtiger Unterschied bleibt freilich: Während in Johnsons Roman der Leser bis zum Schluss nicht erfährt, wie Jakob wirklich zu Tode gekommen ist, erfahren wir im Roman von Heins Rüdiger nach und nach, welches die tieferen, letztlich in einer leidvollen Kindheit liegenden Gründe von Detrois‘ entsetzlicher Tat sind.

Wenn im Roman »In Schweigen gehüllt« von ständigen Unterbrechungen der Handlung die Rede ist, dann darf ein Element, das dem Leser schon von der ersten Seite an begegnet, nicht unerwähnt bleiben: die Kellerassel, die Dingsymbol und Leitmotiv zugleich ist; Dingsymbol insofern, als sie, durch ihren Bezug zur Dunkelheit, für den Tod steht, und Leitmotiv, indem sie in regelmässigen Abständen in dem immer gleichen, hintergründig zeichenhaften Satz von der Blutlache, in den sie mit ihrem Kopf stösst, wiederkehrt. Durch dieses leitmotivische Zitat erhält der Roman, der aus verschiedenartigsten Elementen, vom Erzählerbericht bis zur Textcollage, komplex zusammengefügt ist, letztlich seine Kohärenz. So haben wir denn in Rüdiger Heins‘ Werk einen modernen Montageroman vor uns, der dem Leser nicht nur einen Einblick in die komplexe, in sich widersprüchliche Psyche eines Menschen ermöglicht, der auf seine Weise Liebender und Mörder zugleich ist, sondern auch in eine bürgerliche Gesellschaft, die für Menschen an ihrem Rand keinen Platz hat. Das macht das Werk weit über eine reine Detektivgeschichte in der Tradition von Georges Simenon hinaus zu einem spannungsgeladenen, äusserst lesenswerten Zeitroman.

Prof. Dr. Mario Andreotti ist Dozent für neuere deutsche Literatur in St. Gallen und Zürich und Autor des UTB Bandes »Die Struktur der modernen Literatur«.


"... wenn er lächelt, bricht das pure Chaos aus..."

Porträt des Schriftstellers Rüdiger Heins .

Von Daniela Schütz


Er reiste als Obdachloser durch die Bundesrepublik, filmte mit versteckter Kamera in Flüchtlingslagern und lebte bei einem Indianerstamm in Zentralamerika:
Rüdiger Heins, Schriftsteller und Journalist, der sich im deutschsprachigen Raum einen Namen als engagierter Autor für Menschen am Rande unserer Gesellschaft gemacht hat.
Durch Interviews in Radiosendern, beim Fernsehen in Talkshows und in vielen großen Zeitungen ist sein Name ein Begriff für guten Journalismus geworden.
Bei edition maya erschien sein Buch: Der Ketzer von Veduggio. Lyrik und Prosatexte sind Inhalte dieses ungewöhnlichen literarischen Projektes. In den Texten zeigt Heins eine poetische Sprachkultur, die teilweise experimentell, aber dennoch anfaßbar ist. Mit dem Ketzer von Veduggio verlässt er die Gefilde sozialer Brennpunkte, die er bis dahin beschritten hatte, und begibt sich in den Olymp der Poeten.

schreiend in den spiegel schauen
mit kriegsbemalung auf den
                                      lippen
und buddha knippst
          die lichter aus

Ein früherer Gedichtband: maria auf dem halbmond ist 1996 erschienen. Die Kritiker heben es in den Himmel, so etwa Theo Breuer: "Ich möchte dieses Buch allen Lesern empfehlen, die auf der Suche nach stillem Humor, unaufdringlicher Ironie und hoffnungsvoller Empfindung innerhalb komprimierter und pointierter Sprachgebilde sind!"
Heins, der nach einem schweren Autounfall einen Genesungsurlaub im Himmeroder Kloster machte, schrieb während seines Aufenthaltes die zarten Gedichte, die alle als Haiku geschrieben sind, einer über tausend Jahre alten Dichtkunst, die in Japan immer noch gepflegt wird.

singender nebel
wildgänse rufen zum tanz
die mönche schweigen

Ebenfalls 1996 erschien sein Buch Zu Hause auf der Straße- verlorenen Kinder in Deutschland. Für den Westdeutschen Rundfunk hatte er bereits eine sechzig Minuten Sendung von Straßenkindern produziert, und viele Zeitungen haben seine Reportagen und Features über dieses Thema veröffentlicht. Wieder einmal hat er sich hier einem sozialen Thema verschrieben, bei dem er eine Vorreiterfunktion hat.
"Die Arbeit an dem Straßenkinderprojekt hat meine Haltung zu dieser Gesellschaft grundlegend geändert" resümiert Heins, " ich habe den Glauben an sie restlos verloren, was ist das für eine Gesellschaft, die ihre Kinder aufgibt? Der Begriff Wegwerfgesellschaft trifft nun endgültig zu. Eine Gesellschaft, die in der Lage ist, ihre Kinder wegzuwerfen, ist auch dazu in der Lage, den Planeten Erde auf die Müllhalde zu kippen. Punkt !"
Auf dem Gebiet der Obdachlosigkeit ist er Experte. Bundesweite Einladungen zu Autorenlesungen, Podiumsdiskussionen und Interviews in unterschiedlichen Medien zeigen die Bedeutung des Autors und seiner Arbeit.
Rüdiger Heins war es auch, der das Problem der Obdachlosigkeit zu Beginn der achtziger Jahre gezielt in die Öffentlichkeit brachte. Auslöser war sein erstes Buch Verbannt auf den Asphalt. In diesem Roman schildert er in eindrucksvoller Weise das Milieu obdachloser Menschen, ohne ins Klischee abzurutschen. Die Literaturwissenschaftlerin Dagmar Schemske aus München, schreibt über das Buch: „Rüdiger Heins findet eine literarische Sprachebene, die passagenweise sogar poetisch zu nennen ist." Hier ein Beispiel aus Verbannt auf den Asphalt:

Die Krücken, die seine Beine stützen, sind nur äußerlich. Für seine Seele, seine geschundene Seele gibt es keine Krücken. Da gibt es nur Betäubung. Eine Linderung für Stunden, vielleicht auch für Tage - keine Heilung.

Nach der Veröffentlichung seines ersten Buches folgten Stipendien, Preise und Einladungen zu öffentlichen Veranstaltungen.
1993 kommt sein zweites Buch der Obdachlosenreport auf den deutschen Buchmarkt. Der mit Rüdiger Heins befreundete Kölner Schriftsteller Günter Wallraff, bringt dieses Buchprojekt auf den Weg. Er ermutigt Rüdiger Heins auf die Straße zu gehen, um in Wallraffmanier zu recherchieren. Er ist es auch, der Heins an ein Verlagshaus vermittelt: "Der Unterschied zu Wallraffs und meiner Arbeitsmethode besteht darin, dass die betroffenen Menschen, mit denen ich während meiner Recherchen zu tun hatte, immer wussten, dass ich an einem Buch arbeite. Das gibt einem solchen Projekt eine andere Qualität, weil es von der Szene mitgetragen wird!"
Mit diesem spannenden und gleichzeitig auch aufklärenden Buch gelingt ihm der bundesweite Durchbruch in der Öffentlichkeit. Nicht zuletzt deswegen, weil er seine eigenen Erfahrungen, die er auf der Straße gesammelt hat, mit in den Obdachlosenreport einbezieht. Erstmalig erscheint mit dem Obdachlosenreport ein umfassendes Buch, das viele Hintergründe heutiger Obdachlosigkeit aufzeigt.
Einer seiner Stärken ist die Bescheidenheit, mit der er seinen Mitmenschen begegnet. Ein junger Autor, der bereits jetzt auf ein erfolgreiches Schaffen zurückblicken kann. Einer von jenen, die nicht auf einem literarischen Egotrip sind, um sich gesellschaftlich zu produzieren, sondern einer, der auch etwas für andere Menschen tut!
Er selbst sieht einen seiner größten Erfolge in der Aufführung seines Tanz-, Sprach- und Musikstückes Triade im Brandenburger Dom. Dort inszenierte er mit einer internationalen Künstlergruppe auf allen drei Ebenen des Domes, Krypta, Mittelschiff und Hochaltar eine multimediale Instalation: "Da war ich mit meiner Kunst ganz nahe an dem dran, wo ich schon immer hinwollte, irgendwo jenseits der Grenzen materieller Wahrnehmung. Die Aufführung im Dom hatte etwas mit Licht zu tun", sagt er mit einem unverkennbaren Lächeln auf den Lippen das für viele, die ihn kennen, schon fast so etwas, wie ein Markenzeichen geworden ist.

" wenn er lächelt, dann bricht das pure Chaos aus. Ich habe noch nie einen Mann so lächeln gesehen wie ihn. Es würde mich nicht wundern, wenn er mit diesem Lächeln den Vesuv zum Ausbrechen bringen würde ..."

... schreibt Rüdiger Heins in seinem Prosatext Der Ketzer von Veduggio. Er skizziert in dieser Geschichte seinen italienischen Malerfreund Emilio Giossi, dem er bei genauerer Betrachtung sehr viele Elemente seiner eigenen Persönlichkeit literarisch eingewoben hat.
Viele Zukunftspläne hat er noch: " ich arbeite noch an einem Romanprojekt, das sich über mehrere Jahre hinziehen wird, in das ich aber sehr viel Kraft und Energie hineingebe. "
Vermutlich werden wir in nächster Zeit noch viel von dieser bemerkenswerten Persönlichkeit hören: "Ich mache weiter, immer weiter. Ich bin an einem Punkt angelangt, wo es kein zurück mehr gibt ...!“
Es gibt immer etwas zu tun. Rüdiger Heins wird nicht müde. Sein Tageslauf ist ausgedehnt. Meistens beginnt er um sechs Uhr morgens und endet gegen Abend. "Schriftsteller arbeiten halt nicht mit der Stechuhr, aber immer gegen die Zeit!"

 

 
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