Kartoffeln schälen
Warten auf das junge Kalb
Jupp ist auf dem Feld
(Haiku)
Drinnen in der Küche bereitet Käthchen
das Frühstück zu: gebratene Spiegeleier mit dem Speck
aus der eigenen Schlachtung, dazu frische Butter; Weißbrot
und Marmelade stehen bereits auf dem Tisch. Der Bauer trinkt morgens
immer nur Kamillentee.
Josef ist noch im Stall, um die Kühe zu melken. Da ist das
Klirren der Ketten, mit denen sie verbunden sind. Ein monotones
Brummen der Melkmaschine.
Dieser Morgen ist wie jeder Morgen. Wie sollte er auch anders
sein. Käthchen schaut aus dem Fenster und träumt sich
in die Landschaft hinein.
Saftiges Grün vermischt sich mit den gelben Farbtupfern der
Butterblumen, dazwischen das zarte Rot des Mohn. Von weitem ist
das Krähen eines Hahnes zu hören, während ein zarter
Wind über die Hänge streift. Mit einem sanften Kauen
bewegen sich Kühe über die Weide. Die Ruinen des alten
Klosters. Traktorengeräusche.
Diese geschundene Eifellandschaft hat sich tief in ihre Seele
eingegraben. Mit schwieligen Händen und gebogenen Rücken
ringen die Bauern ihr schon seit Generationen die Früchte
ihrer Arbeit ab. Käthchen war ihr Leben lang nur hier oben
auf dem Hof. Es gab nie einen anderen Ort, an dem sie hätte
leben können. Länger als zwei Wochen hielt sie es nirgendwo
aus. Gewiss, da war dieser Tiroler Bursche, ein junger Mann aus
reichem Elternhaus, er hätte sie gerne geheiratet. Auch sie
hatte damals Freude an ihm. Doch Tirol, nein, das war nicht ihre
Heimat. Bereits in der ersten Woche in Klausen bekam sie so großes
Heimweh, dass ihr Liebster in der zweiten eine Fahrkarte nach
Mayen lösen musste. Sie versprach ihm wieder zu kommen. Er
wartete lange, vielleicht viel zu lange. Doch sie konnte das Versprechen
nicht einlösen. Die Eifel hielt sie zurück. Ihre Entscheidung,
zu bleiben, hat sie nie bereut.
Einen dieser derben Eifelbauern wollte sie auch nicht heiraten.
Die waren ihr einfach zu grob und ungebildet. Da blieb sie lieber
allein. Wozu brauchte sie auch einen Mann? Ein Mann nützte
ihr hier nichts und anderswo auch nicht. Sie hatte ja auch alles,
was sie brauchte: eine große Familie, das Land, das Vieh.
Da war einfach kein Platz mehr für einen Mann. So verbrachte
sie ihre jungen Jahre im Elternhaus. Maria, ihre jüngere
Schwester, Jupp, der kleine Bruder und Mama. Vater starb schon
sehr früh und Rudi blieb in Russland.
Ihr blieb die Arbeit im Stall und auf dem Feld; oder der Mutter
in der Küche zur Hand zu gehen. Nie bekam sie ein Lob für
ihren Fleiß. Dabei versuchte sie ihre Arbeit immer gut und
ordentlich zu machen. Doch sie wurde nur getadelt. Auch daran
gewöhnte sie sich, war sie doch der Meinung, ihre Mutter
konnte nicht anders.
Als Maria aus dem Hause ging, um einen Kaufmann in Burgbrohl zu
heiraten und Kinder zu gebären, blieb sie. Einige Jahre später
als Mutter starb, spielte sie kurz mit dem Gedanken, den Hof zu
verlassen, doch auch dann blieb sie. Ernsthaft wollte sie nie
ihr Buchholz verlassen. Wo sollte sie auch hin?
"Hast du die Hühner gefüttert?" Jupp kommt
aus dem Stall. Er setzt sich an den Frühstückstisch.
Die Fliegen, die sich an der Marmelade zu schaffen machen, vertreibt
er mit einer schnellen Handbewegung "Möckevieh".
Im Radio die Nachrichten. Es dauert nicht lange und Jupp ist mit
dem Frühstück zu Ende. Er zieht draußen vor der
Tür seine Stiefel an, setzt sich auf den Traktor und fährt
in die Rüben.
Käthchen ist wieder allein. Sie genießt diese Morgenstunden,
wenn Jupp draußen auf dem Feld ist, und sie sich alleine
im Haus ihren Träumen hingeben kann. Nachdem sie den Küchentisch
abgeräumt und die Kartoffeln auf den Herd gestellt hat, zieht
sie sich in das Schlafzimmer ihrer Mutter zurück.
Sie haben alles so gelassen, wie Mama es zurückließ.
Jeder Versuch Käthchens sich dort ein eigenes Zimmer einzurichten,
wurde von Jupp mit den Worten: "Es bleibt alles so, wie es
ist", zurückgewiesen. So schlief sie weiterhin in ihrer
engen Kammer, in der nur für ein Bett und eine Kommode platz
war. Doch immer, wenn sie alleine war, hielt sich Käthchen
im Zimmer ihrer Mutter auf. Sie durchstöberte dann den alten
Eichenschrank, der von einem Schreiner in Ahrweiler angefertigt
worden war. Ein einfacher Bauernschrank, auf dem sich die Spuren
der Zeit ins Holz geritzt haben. Der Schrank war der ganze Stolz
ihrer Mutter. Sorgfältig aufeinandergelegt bewahrte sie darin
die Bettwäsche aus Leinen auf. Auch das Hochzeitskleid aus
grünem Brokat hing noch am Bügel. Es musste wohl mehr
als achtzig Jahre alt sein. Ihre Mutter hatte es in all den Jahren
vor Motten und dem Zerfall der Zeit gerettet.
In der Schublade des Nachtschränkchens liegt noch Mamas Gebiss.
Der Leichenbestatter konnte es ihr nicht mehr anpassen.
Die alte Klosterruine erhebt sich mit ihren grauen Mauerresten
in den morgendlichen Himmel. Konturen des Zerfalls vereinen sich
nahtlos mit dem Blau des Himmels. Dazwischen die Sträucher
und Gräser, die der Ruine ihren Zauber verleihen.
Buchholz, die Klosterruine, das Land: das ist der Platz von Käthchens
Ahnen. Die Einigs wohnen bereits seit vielen Generationen hier
oben. Als die Benediktiner die Probstei verließen, kamen
Bauern aus Burgbrohl, Ahrweiler und Niederzissen, um sich mit
ihren Familien in den alten Gemäuern anzusiedeln. Jetzt gibt
es hier oben nicht mehr viele Bauern. Die meisten haben sich aus
der Landwirtschaft zurückgezogen. Käthchen und Jupp
sind geblieben.
Es duftet nach frischem Heu und Kuhdung. Sie schaut aus dem Fenster
und atmet die Morgenluft in sich ein. Für sie ist dieser
Duft wie eine zarte Melodie, die diese karge Landschaft mit ihren
weichen Tönen zum singen bringt. Jetzt beobachtet sie ein
paar Spatzen, die auf einem Fladen Mist nach etwas stochern. Leben
und leben lassen.
In der Nachttischschublade greift sie wieder nach dem Brief, den
ihr Mama hinterlassen hat. "Käthchen" steht da
in Sütterlinbuchstaben, denen anzusehen ist, das sie von
schwacher Hand geschrieben worden sind. Käthchen hält
den abgegriffen Umschlag in ihren Händen, sucht nach Spuren
ihrer Mutter. Riecht daran. Riecht, ob sie vielleicht noch den
Hauch eines Duftes von ihr erspüren kann. Mama hat diesen
Brief kurz vor ihrem Tod geschrieben. Sie wusste, dass sie bald
sterben würde. Käthchen und Jupp auch. Aber sie schwiegen
sich darüber aus. Sie wollten nicht, dass sie stirbt. Es
sollte alles so bleiben. Der Brief war immer noch ungeöffnet.
Auch zehn Jahre nach ihrem Tod. Nie hatte sie den Mut gehabt,
ihn zu öffnen. Sie hatte einfach Angst davor, die letzten
Zeilen ihrer geliebten "Mama" zu lesen. Diesen Augenblick
wollte sie möglichst weit von sich wegschieben. Immer wieder
nahm sie sich vor, ihn zu öffnen. An Mamas Geburtstag, an
ihrem Todestag; Gelegenheiten hatte sie genug, nur sie nahm keine
davon wahr. Heute war wieder so ein Tag, Käthchens Geburtstag.
Jupp hatte ihn wie immer vergessen. An ihrem siebzigsten Geburtstag,
hatte sie sich bereits seit langem vorgenommen, werde sie den
Brief öffnen. Heute ist ihr siebzigster Geburtstag. Aber
auch dieses Mal zögert Käthchen. Sie kennt dieses Zögern.
In Gedanken hört sie die Stimme ihrer Mutter. Drohend, klagend,
wütend. Nie kam ein gutes Wort über ihre Lippen. Was
mag sie wohl in diesem Brief geschrieben haben? Nur zaghaft versucht
sie mit einer Nagelfeile, die sie in Mutters Nachttischschublade
gefunden hat, den Umschlag zu öffnen. Ihre Hände zittern.
Käthchens Aufregung steigert sich mit jedem Millimeter, den
sich die Nagelfeile durch das Papier vorarbeitet. Doch plötzlich
verliert die den Mut, weiterzumachen. Sie legt die Nagelfeile
wieder an ihren Platz zurück, den Brief auch. "Nein,
heute werde ich ihn nicht lesen, ich bin noch nicht soweit. Vielleicht
morgen."
Ein Traktorengeräusch, dass deutlich lauter werdend, in den
Hof eindringt, lässt sie aus ihrer Einsamkeit erwachen. Schnell
springt sie vom Bett ihrer Mutter auf, rennt in die Küche.
Die Kartoffeln sind bereits angebrannt. Jupp kommt zur Türe
herein: "Sin die Katoffele schun widder anjebrannt? Och Käthche!"
Sie schweigt. Nachdem Jupp die angebrannten Kartoffeln draußen
auf dem Mist entsorgt hat, geht er in die Stube, um das Fernsehen
einzuschalten. Er legt sich auf das Sofa und sieht die Nachrichten.
Mit einer blauen Plastikfliegenklatsche in der Hand vertreibt
er die Fliegen, die sich am Schweiß auf seiner Stirn laben
wollen: "Möckevieh!"
Käthchen schält Kartoffeln. Heute wird im Stall noch
eine Kuh kalben. Als sie den Topf auf den Ofen stellt murmelt
sie leise vor sich hin: "Morgen, ganz bestimmt morgen..."