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Haiku-Garten-Tagebuch
(Barbara Döring)
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Sonntag, 4. Mai 08
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Mein erster Tag auf der Landesgartenschau
in Bingen als Haiku-Garten-Wächterin. Sonne,
blauer Himmel, sehr viel Wind. Doch ich bin gut
gerüstet mit Sonnenhut und Strickjacke. Um
14:00 Uhr am Haiku-Garten-Feld angekommen treffe
ich auf eine wild arbeitende Kinderschar, die nach
Geldmünzen gräbt. Angeblich hätten
sie einen Euro gefunden. Also müsste noch mehr
zu finden sein. Ein Holzrechen ist schon zu Bruch
gegangen und der zweite vermisst bereits zwei Zinken.
Nun gut. Ich erkläre den Kindern, dass es hier
nichts zu graben gibt und versuche den Sandgarten
etwas zu ebnen. Heute, am Sonntag kommen große
Gruppen von Besuchern. Erstaunlich viele Menschen
bleiben bei mir stehen und stellen Fragen. Ich erkläre
unermüdlich die Symbolik der siebzehn Steine
die für die siebzehn Silben eines Haiku-Gedichts
hier im Sandbett angeordnet sind und ermuntere zum
eigenen Dichten. Das Gewühl ist zu groß,
um Ruhe zu finden. Doch zwei Frauen versuchen ihr
Glück. Und siehe da, es entstehen zwei Haiku.
Eine nicht unerhebliche Zahl von Personen kennt
Zen-Gärten.
Die Bemerkungen der älteren Menschen lassen
mich ein wenig schmunzeln, denn da richtet sich
das Hauptaugenmerk nur auf die Ordentlichkeit. Es
ist ganz wichtig, dass alles ganz akkurat bearbeitet
wird. Kaum habe ich meine Linien gezogen, huschen
wieder einige Kinder von Stein zu Stein und wüten
mit großer Kraft im Sand. Es zeigt mir die
Vergänglichkeit alles Irdischen.
Ich preise die Vorzüge des Haiku-Gartens an,
als würde ich mein eigenes Produkt verkaufen
wollen. Einige Besucher vermuten, ich sei bereits
Japan gewesen und könne deshalb Auskunft geben.
Zum Ende meiner vier Stunden kommt ein junges Pärchen
und zieht unermüdlich wunderbare Linien um
die Steine. Wunderschöne Muster entstehen im
Sand. Der Holzrechen ist noch nicht abgestellt,
da haben bereits viele kleine Kinderfüße
das Werk zerstört. Morgen komme ich wieder
und werde meine Runden drehen.
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Montag, 5.5.2008
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Heute ist es sehr windig und in Kürze ziehen
Wolken auf. Die Besucherscharen halten sich in Grenzen
Das kann mir nur recht sein. So ist es möglich
in Ruhe über eigene Haiku-Gedichte nachzudenken
oder mit den einzelnen Menschen zu sprechen. Wieder
steht die Ordnung im Vordergrund, dass man in diesem
Garten arbeiten müsse und dies alles etwas
mit Japan zu tun habe. Menschen, die etwas Kenntnis
über japanische Gärten haben erwähnen
etwas von Meditation und Ruhe finden. So mancher
wünscht sich eine solche Anlage im eigenen
Garten, denn dann gäbe es weniger Arbeit.
Der Wind lässt die Luft kühler werden
also eilen die Menschen vorüber. Damit ich
mich ein wenig aufwärmen kann, laufe ich bis
zur Mitte der Gartenanlage und besuche die Künstler
im Skulpturenpark. Das Wetter wird nicht besser.
Zum Abschluss ebne ich nochmals den großen
Sandgarten, hoffe, dass die Spuren bis zum nächsten
Tag erhalten bleiben und beschließe etwas
früher meinen „Arbeitsplatz“ verlassen.
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Mittwoch, 7.5.2008
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Der knallblaue Himmel, der zart fächelnde
Wind, die warme Sonne versprechen einen angenehmen
Aufenthalt an „meinem Garten“. Ausgerüstet
mit meinem Schreibbrett, Essen und Trinken, Sonnenhut
etc. nehme ich wieder Platz auf meinem Stuhl. Doch
die vielen Fußspuren im Sand lassen mich ziemlich
schnell zum Rechen greifen. Langsam beginne ich
meine Runden zu drehen. Die Menschen bleiben stehen,
schauen zu, lassen Bemerkungen fallen, z. B. dass
jede Linie eine Bedeutung habe, dies etwas mit Meditation
zu tun habe usw. Doch kaum jemand hat Muse, mir
ein wenig zu Hilfe zu kommen. Da mir bewusst ist,
dass die Besucher erst am Anfang ihrer Wanderung
durch die Gartenanlage sind, lasse ich sie ziehen.
Heute kommen einige Gruppen vorbei und es freut
mich sehr, denn ein Halt am Haiku-Garten ist in
der Führung stets eingeplant. Die Gruppenführer
erklären wunderbar die Symbolik und den Sinn
des Gartens.
Mir wird wieder „Lob“ ausgesprochen,
dass alles „so schön ordentlich sei“,
wenn die Sandlinien vollendet sind.
Es gibt an diesem Tag auch einige wenige Mütter,
die den Kindern ein wenig Einhalt gebieten, die
Linien nicht gleich zu zerstören. Allerdings
ermuntere ich sie, ihre eigenen Muster in den Sand
zu malen und vielleicht auch den Rechen so zu ziehen,
dass ihre Fußspuren verwischt werden. Geduld
haben nur wenige.
Geduld, Ausdauer, Gelassenheit, Ruhe möchten
wir finden in einem solchen Garten. Doch die Lärmkulisse
in diesem Rheintal ist schon beachtlich. Die Schiffe
tuckern unaufhörlich vorbei. Rechts und links
des Rheins führen Eisenbahnlinien. Alle zehn
Minuten fährt ein Zug vorbei, so habe ich den
Eindruck. Flugzeuge am Himmel und natürlich
konstante Autogeräusche.
Meine Großmütigkeit wird auf eine harte
Probe gestellt, wenn meine wunderschönen, mit
Ausdauer gezogenen Linien im Sand in Kürze
zertrampelt werden. Mit asiatischer Gelassenheit
die Situation zu sehen fällt mir schwer und
ein kleiner Anflug von Enttäuschung schleicht
in mein Herz.
Im Nu verrinnt die Zeit, gegen 17:00 Uhr lassen
die Besucherströme etwas nach und gegen 18:00
Uhr begebe ich mich wieder auf meinen Heimweg, nicht
ohne vorher nochmals nach den Künstlern zu
schauen, die ihre Skulpturen formen. Am Pfingstmontag
werde ich wieder vor Ort sein.
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Pfingstmontag, 12.5.08
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Strahlendes Sommerwetter,
Menschenströme, die unablässig am Haiku-Garten
vorbei flanieren. Sehr viele Familien mit kleinen
Kindern nutzen diesen Tag. Für die Kinder ist
unser großer Garten ein willkommener Sandkasten,
in dem man von Stein zu Stein hüpfen und nach
Lust und Laune rechen kann. Auch einige Erwachsene
trauen sich, ein paar Linien zu ziehen.
Es fallen die Bemerkungen: „In Japan dürfte
ein Zen-Garten nicht so unordentlich aussehen“,
„Eigentlich sollte die Sandfläche nicht
betreten werden“, „Ob denn schon Japaner
vorbei gekommen seien?“ Meine Bemerkungen
wiederholen sich: „Hier dürften die Menschen
selbst aktiv werden“. Einige Male bringe ich
barfuß im heißen Sand wenigsten einen
Teil der Anlage in Form und genieße es, wenn
Menschen länger verweilen und Freude am Linien
ziehen haben. Wieder höre ich in Gesprächsfetzen
von Kenntnissen über japanische Gärten.
Zum Abschluss möchte ich eigentlich nochmals
das ganze Feld überarbeiten, aber drei Erwachsene
beschäftigen sich mit großer Ruhe und
sehr hingebungsvoll der Sandbearbeitung. Am Mittwoch
komme ich wieder. Dann ist Wochentag und es wir
vermutlich etwas ruhiger sein.
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